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geschrieben von Sascha Gläsel
Hersteller: AM2 / Sega
Genre: Adventure
System: Dreamcast, PAL-Version
Besonderheiten: unterstützt 60 Hz, VGA; benötigt VMU (min. 22 Blöcke); jap. Sprachausgabe
USK (ESRB): Geeignet ab 12 Jahren
Spieler: 1
Testmuster von: eigene Anschaffung
Über ein Jahr mussten Fans von "Shenmue" warten, bis sie als Ryo Hazuki die Suche nach dem Mörder von Ryos Vater und der Bedeutung geheimnisvoller chinesischer Artefakte in Hong Kong wieder aufnehmen dürfen. Während us-amerikanisch Dreamcastbesitzer in die Röhre schauen, tummeln sich europäische Spieler im Moloch der chinesischen Metropole und versuchen sich als Amateurdetektiv.
Wer die Vorgeschichte aus dem ersten Teil nicht kennt, dem hilft die vierte GD auf die Sprünge, so dass ihr auch ohne Vorkentnisse das Sequel unbesorgt erwerben könnt. Wie in "Shenmue" schlummern wieder vier Silberlinge in den beiden CD-Hüllen. Neben weiteren Goodies dürft ihr euch die wichtigsten Szenen aus dem ersten Teil zu Gemüte führen. Auch für Besitzer des Vorgängers durchaus eine überlegenswerte Sache, kommt ihr doch so schnell wieder in die Hintergrundgeschichte hinein.
Die Suche geht weiter
Die Suche von Ryo Hazuki nach dem Mörder seines Vaters geht zunächst am Hafen von Hong Kong weiter. Euer junger Held hat von seinem chinesischen Kontaktmann aus Japan nur ein Schreiben mit einem Namen bekommen. Diese Person versucht ihr fortan aufzuspüren, was gar nicht so leicht ist, da niemand den Namen zu kennen scheint. Doch es kommt noch schlimmer. Kaum verlasst ihr den Anlegekai werdet ihr das Opfer von Dieben, die euch doch glatt Rucksack mitsamt dem ganzen Geld stiebitzen. Dumm gelaufen.
Vom Spielablauf hat sich wenig geändert. In erster Linie sind wieder eine Menge Leute zu befragen um die für das Fortkommen so wichtigen Informationen zu sammeln. Dabei sind die Fragen, die Ryo stellt, meist fest vorgegeben. Allerdings nicht ganz so rigide wie im Vorgänger; bekommt ihr doch ab und an mehrere Fragemöglichkeiten geboten. Außerdem habt ihr die Wahl, ob ihr zusätzlich noch nach vorhandenen Arbeitsstellen oder Glücksspielen in der Nähe forscht. Natürlich gehen alle Leute, die euch über den Weg laufen, wieder ihrem normalen Tagewerk nach abhängig von der jeweiligen Uhrzeit. Am Tage wird meist gearbeitet. Am Abend vergnügt man sich zum Beispiel durch den Besuch von Bars oder Kneipen.
Geld regiert die Welt
Auch in Hong Kong ist ohne Moos tote Hose. Kein Geld, also auch keine Spielautomaten, keine Sammelleidenschaft oder, viel wichtiger, kein nettes Hotel, wo Ryo sich nach getaner Arbeit eine Mütze voll Schlaf genehmigt (mit einem kleinen Trick klappts aber auch ohne). Wie ihr dies beschafft, ist euch völlig frei gestellt. So vermittelt Ryo zum Beispiel eine ihm anfangs immer wieder über den Weg laufende Motorrad Braut, die offenbar einen Narren an dem jungen Helden gefressen hat, einen Job im Hafen als Kistenschlepper. Das Auskommen bei dieser Beschäftigung ist zwar recht karg. Für einen Grundstock an liquiden Mitteln reicht es aber allemal.
Viel schneller kommt ihr über Glücksspiele an Kohle. Hiervon gibt es vor allem in der Hafengegend eine Menge zu entdecken. Ob Würfel oder die allgegenwärtigen Pachinko-Bretter, das schnelle Geld lockt fast überall. Grundsätzlich gilt: Je höher der Einsatz umso höher das Risiko das Geld zu verlieren aber auch umso erklecklicher der mögliche Gewinn. Darüber hinaus gibt es noch anderer Wettbewerbe, wie Armdrücken oder kleine Kämpfe, bei denen ihr euch eine Gewinnbörse erspielt.
Wo bitte geht's zur Action?
Trefft ihr den ein oder anderen Bösewicht wird das Adventure actionhaltig. Dann wird eure Fingerfertigkeit in Quick-Time-Events (QTE) oder in Prügeleien im Virtua Fighter Stil gefordert. In QTE's laufen Filmsequenzen in Spielegrafik ab, in denen ihr euch durch Drücken plötzlich eingeblendeter Steuerkreuzrichtungen oder Betätigen von Joypad-Buttons hindurch lavieren müsst. Das kann zum Beispiel eine Verfolgungsjagd sein, bei der ihr Hindernissen ausweicht oder ein kleiner Drahtseilakt über gähnende Abgründe.
Kennt ihr diese QTE's bereits vom Vorgänger werdet ihr euch schnell zu recht finden, auch wenn der Schwierigkeitsgrad etwas angehoben wurde. Im Gegensatz zum ersten Teil geht es beim Scheitern eines dieser Action-Sequenzen nicht immer wieder von vorne los. Wird euch zum Beispiel zu Beginn von Ryos Hong Kong Aufenthalts der Rucksack entwendet und die Diebe entkommen euch in der anschließenden Verfolgungsjagd, müsst ihr diese erst durch detektivische Kleinarbeit sprich durch Befragung von Leuten aufspüren und erlebt dann in einem weiteren QTE den Rucksack-Zurückerlangungs-Showdown.
Prügel wie bei Virtua Fighter
Läßt sich ein Streit mal nicht verbal aus der Welt schaffen, wird es meist handgreiflich und es darf geprügelt werden. Ryo hat im heimatlichen Dojo eine Menge Martial Arts Moves gelernt, mit denen ihr euch meist gegen gleich mehrere aufdringliche Schurken eurer Haut erwehrt. Die Steuerung erinnert stark an Segas "Virtua Fighter" Reihe. Entsprechend komplexe Angriffs- und Verteidigungsbewegungen wollen beherrscht und einstudiert werden. An diversen Stellen im Spiel dürft ihr diese fleißig trainieren. Im weiteren Spielverlauf gibts es weitere mächtige Moves zu entdecken, die ihr Ryos bereits beträchtlichem Repertoire hinzu fügt.
Was den Spielablauf angeht, habt ihr die Wahl: Haltet ihr euch streng an die recht linear verlaufende Story auf der Suche nach dem Vatermörder? Oder lasst ihr Story erst einmal Story sein und schaut euch lieber genüsslich in Hong Kong um? Schließlich gibt es in der ehemaligen britischen Kronkolonie eine Menge zu entdecken. Neben einer Menge lauschiger Ecken und skurriler Zeitgenossen zum Beispiel wieder eine Menge an Mini-Spielen, die für Abwechslung im Adventure Alltag sorgen.
Alles ein Zeitfrage
Zeit habt ihr jedenfalls genug. Zwar vergehen virtuelle Stunden in Hong Kong in nur wenigen Minuten - doch haben euch die Macher von "Shenmue 2" mehr als genügend Spielraum für ausgiebige Entdeckungstouren gelassen. Ihr habt nämlich beginnend im Winter bis zum Ende des Sommers Zeit euch in in Hong Kong und Umgebung umzuschauen. Seit ihr am Ende des Sommers angekommen ohne zum Ende des Games vorgedrungen zu sein ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass ihr das "Bad Ending" des Spieles zu Gesicht bekommt. Denn auch ein schlechtes Ende schlummert auf den Silberlingen.
Doch zurück zu den Mini-Spielen. Wie im Prequel findet ihr wieder mehrere Spielautomaten, die mit Münzen gefüllt werden wollen. Neben "Space Harrier" und "Hang-On" könnt ihr mit "Outrun" und "Afterburner II" noch zwei weitere Arcade Klassiker aufspüren und spielen. Dart-Automaten gibt es selbstverständlich ebenfalls wieder, wie auch Einarmige Banditen oder die QTE Automaten, an denen ihr für den Ernstfall trainiert. Habt ihr die Mini-Games einmal im Spiel gefunden, dürft ihr diese auf der vierten GD abseits von Hong Kong daddeln, wenn ihr Lust und Laune habt.
Automatenklassiker und Sammelfiguren
Auch Jäger und Sammler kommen auf ihre Kosten. Dafür sorgen die an alte Kaugummiapparate erinnernden Automaten, an denen ihr kleine Figuren gegen einen geringen Unkostenbeitrag ziehen dürft. Wie hierzulande die kleinen Goodies in den Überraschungseinern findet ihr zum Beispiel Mini-Figuren zu bekannten Sega Spielen aber auch Spielzeugmotive aus den beiden "Shenmue" Teilen wieder. Versucht möglichst vollständige Sets bestimmter Reihen wie zum Beispiel alle Figuren eines Virtua Fighter Sets zu sammeln, die komplett besonders viel wert sind.
Diese verkauft ihr, sollte mal Ebbe in der Kasse sein, gegen gutes Geld beim Pfandleiher. Fast jeder Stadtteil von Hong Kong hat mindestens einen dieser Läden. Doch obacht: Die Preise, die ihr für eure gesammelten Kleinode erhaltet unterscheiden sich von Geschäft zu Geschäft zum Teil erheblich. Da ihr von jedem Ladenbesitzer eine Preisliste erhaltet, die auch an vereinzelten Stellen herumliegen, überzeugt euch vorher, wo ihr die meiste Kohle bekommt. Aber wer will schon sein mühsam Gesammeltes einfach so verkaufen?
Technik 1A
"Shenmue 2" ist in Sachen Grafik noch eine Spur eindrucksvoller ausgefallen, als der schon bombastische Vorgänger. Selten hat man eine so detailliert in Szene gesetztes mit so viel abwechslungsreichen Texturen versehenes Stadtszenario auf einer Videospielekonsole gesehen. Da meint man schon fast den Unrat an der ein oder anderen dreckigen dunklen Ecke riechen zu können. Dazu ist euer Betätigungsfeld größer geworden. Allein die Stadtviertel von Hong Kong sind schon umfangreicher geraten, als Ryos Heimatstadt aus dem ersten Teil. Und ihr werdet die Stadt später noch verlassen ...
Die einzelnen Stadtteile selbst sind nicht sonderlich groß ausgefallen, so dass sich auch Leute mit einem schlechten Orientierungssinn zurecht finden sollten. Verirrt ihr euch trotzdem des öfteren im Straßen und Gassengewirr der Großstadt, erwerbt für einen kleinen Obulus eine Karte des jeweiligen Stadtteiles (Automaten mit Karten findet ihr üblicherweise an den Stadtteilgrenzen). Wichtige Orte dürft ihr zudem auf den Karten zwecks besserem Widerfinden mit farbigen Zeichen (drei an der Zahl) markieren.
Hoher Detailgrad
Das Charakterdesign sucht ebenfalls wieder seinesgleichen. Fast keiner der vielen Leute, die euch über den Weg laufen, gleicht dem anderen. Alle sind sehr detailliert ausgearbeitet was Kleidung, Gesicht und Haarpracht angeht. Der Haken: Wie in "Shenmue" werden Personen schon nach wenigen Metern Entfernung einfach ausgeblendet um die Dreamcast-Hardware nicht zu überfordern. Das fällt schon bei Ryos Ankunft am Hafen negativ auf, wenn am Pier plötzlich Personen scheinbar aus dem Nichts im Blickfeld des jungen Helden auftauchen.
Die Steuerung hat sich leider nicht großartig gebessert. Es ist auch im zweiten Teil wieder eine recht hakelige Angelegenheit, Ryo durch sein Abenteuer zu lotsen. Außer bei den Prügeleien, wo die Steuerung einwandfrei klappt, ist es vor allem nicht ganz einfach, den jungen Helden auf bestimmte Sachen oder Gegenstände auszurichten. Ebenfalls nervig: Steht ihr unmittelbar vor einem Gegenstand, der nicht direkt in Augenhöhe liegt, so gelingt es nicht immer ihn ins Blickfeld zu bringen um ihn näher zu betrachten oder mit zu nehmen. Dann heißt es erst ein oder zwei Schritte zurück zu gehen, wenn es klappen soll.
Speichern Deluxe
Das Speicherfeature dagegen wurde verbessert. Bot "Shenmue" nur einem Spielstand an um mitten im Spiel abzuspeichern, ist dies jetzt mit allen drei Speicherslots, die "Shenmue 2" zur Verfügung stellt, möglich. Das umständliche Speichern vor dem Zu-Bett-Gehen entfällt im Nachfolger. Seit ihr knapp an Memory Card Speicherplatz werdet ihr sicher dankbar zur Kenntnis nehmen, dass jeder der drei Speicherslots getrennt mit je 18 Blöcken auf der VMU zu Buche schlägt. Benutzt ihr also nur einen Speicherslot, kommt ihr mit 22 Blöcken aus (vier nimmt sich "Shenmue 2" für die Einstellungen). Wollt ihr alle drei nutzen macht schon mal 58 Blöcke auf eurer VMU frei.
Habt ihr "Shenmue" in der PAL-Version gelöst, dürft ihr den Spielstand weiter verwenden. Fast alle gesammelten kleinen Figuren und eure Geldreserve aus dem ersten Teil sowie erworbene Kampffähigkeiten werden übernommen. Die Kohle (umgerechnet in Hong Kong Dollars) nützt euch allerdings so gut wie nichts, da beim Diebstahl eures Rucksackes zu Beginn des Abenteuers das Geld für immer verloren ist. Gesammelte Gegenstände allerdings bekommt ihr mit dem Auffinden eures Rucksackes wieder zurück.
Japanische Sprachausgabe mit englischen Untertiteln
War der erste Teil der Reihe hier zu Lande noch komplett in englischer Sprache erhältlich, kommt die PAL-Version mit japanischer Sprachausgabe daher. Damit ihr auch etwas versteht, ist das ganze mit englischen Untertiteln versehen worden. Für eine in Deutschland veröffentlichte PAL-Version sehr ungewöhnlich. Lediglich die Anleitung und das Tagebuch von Ryo, in dem wichtige Hinweise fest gehalten werden, sind in deutscher Sprache abgefasst.
Fantastisch, was Sega da auf das Dreamcast gezaubert hat. Die Metropole Hong Kong wurde verdammt detailliert in Szene gesetzt. Dazu kommt wieder ein exzellentes Charakterdesign, das in seinem Detailreichtum in der Computer- und Videospielewelt seinesgleichen sucht. Neben der von einigen Kleinigkeiten abgesehenen hervorragenden technischen Umsetzung gefällt auch das eigentliche Spiel. Eine spannende Story gilt es in detektivischer Kleinarbeit zu ergründen. Dabei lässt euch "Shenmue 2" aber ungemein viele Freiheiten um die Stadt zu durchstreifen zum Beispiel auf der Suche nach Mini-Spielchen, die ihr dann auch abseits des eigentlichen Spieles über die vierte GD solo daddeln dürft. Oder ihr fröhnt eurer Sammelleidenschaft mit den kleinen Figürchen, organisiert noch mehr Geld durch Glücksspiele oder trainiert Ryos Kampfkünste und fügt ihnen neue Tricks und Kniffe hinzu. Habt ihr den ersten Teil gespielt klärt der Nachfolger einige offene Fragen. Allerdings bleiben zum Schluss noch genügend Fragezeichen für den dritten Teil der Saga übrig, der dann auf Microsofts Xbox erscheinen wird. Mit einem Wort: Pflichtkauf für (fast) jeden Dreamcast Besitzer. Solltet ihr den ersten Teil allerdings schon nicht gemocht haben (so etwas soll es gegeben haben ;) ), wird euch der zweite Teil aber wohl nicht "bekehren" (sag).