Das Projekt konsolen.net wurde im Sommer 2007 eingestellt. Bei diesem Internetauftritt handelt es sich nur noch um ein Archiv der Inhalte von 1996 bis 2007.
geschrieben von Andreas Wende
Hersteller: Sacnoth / SNK / Infogrames
Genre: Adventure-RPG
System: PlayStation, US-Version
Besonderheiten: 4 CDs
USK (ESRB): "M" (Mature)
Spieler: 1
Testmuster von: Eigenimport
Man nehme eine Handvoll Ex-Squaresoft Programmierer, einen Ausnahme-Komponisten, ein düsteres Gemäuer, eine junge sexy Hexe mit knappem Rock und blütenweisser Unterwäsche, sowie Legionen von Monstern, Untoten und anderen Kreaturen und schon hat man alles beisammen, was man für einen Top-Titel braucht! Wirklich?
Halloween 1898. An einem dunklen Herbstmorgen reitet eine vermummte Gestalt durch die Weite Britanniens. Sie ist auf dem Weg zur verfluchten Nemeton Monastery, einem Ort in dem es seit Monaten von Geistern, Monstern und Erscheinungen nur so wimmelt. Und es ist der Ruf der Geister, dem die Gestalt auf dem Pferd, die junge Hexe Koudelka Jasant folgt. Bevor die 19-jährige Koudelka jedoch auf Monster oder Ähnliches trifft, findet sie in dem Gemäuer den schwer verletzten Dieb Edward Plunkett, der seinerseits das Vergnügen mit den Monstern bereits hatte.
In einem ersten kurzen Ausflug in die leider äußerst triste Kampfarena tötet sie mit Edwards Pistole einen Werwolf und heilt den Dieb zum Dank für dessen Waffe. Gemeinsam ziehen sie dann los, den Geheimnissen der Nemeton Monastary auf die Spur zu kommen.
So durchstreift das frischgebackene Heldenduo die weitläufige, traumhaft gerenderte und teilweise animierte Kulisse des alten Gemäuers, löst Rätsel und findet die RPG-üblichen Gegenstände, Shops gibt es in einem alten Kloster natürlich nicht. Etwas später, nach dem ersten Boßkampf, stößt dann noch der Priester James O'Flaherty, ein direkter Abgesandter des Vatikan, dazu und komplettiert die kleine Party.
Sichtbar ist dabei immer nur Koudelka, stellvertretend für die ganze seltsame Abenteurer-Party. Ebenso wie die Gefährten bleiben allerdings auch die Feinde im Haus unsichtbar. Eine etwas unglückliche, weil nicht gerade spannungsförderde Entscheidung. Erst in der Kampfarena werden alle Kontrahenten sichtbar und treten in streng rundenbasierten Duellen gegeneinander an.
Schlüssel zum Sieg ist nicht nur der richtige Einsatz von Waffen (vom Messer bis zur Schrotflinte, notfalls auch mit bloßen Händen) und einigen, RPG-untypisch wenigen Zaubersprüchen, sondern auch die richtige Bewegung der Helden. Denn nicht nur kaputt gegangene Waffen und fehlende Magie-Punkte können einen Kampf erschweren, sondern auch die Art des Aufeinandertreffens. Denn unabhängig von der Zahl der Kontrahenten bildet immer der vorderste Kämpfer einer Seite gewissermassen die Frontlinie, die kein Gegner überschreiten kann! Wer also nicht rechtzeitig zieht, dessen Bewegungsspielraum kann sich empfindlich einschränken, bis im Extremfall eigene Partymember z.B. die Schußbahn verstellen.
Für Siege werden die Helden wie üblich mit Items und Erfahrungspunkten belohnt, die auf acht verschiedene Charakterattribute verteilt werden dürfen. Diese sind übersichtlich und gut nachvollziehbar, weitgehend undurchsichtig sind dagegen die Attribute, Wirkungen und Wechselwirkungen von Waffen und Ausrüstung der Helden. RPG-untypisch haben die Coder, bzw. die Verantwortlichen fürs Booklet diese fast völlig im Dunkeln gelassen haben. Undurchsichtiger waren die statistischen Grundlagen noch in keinem anderen Rollenspiel!
Die Gegnerschaft ist einzigartig zahlreich: Von Geistern, Zombies und Monstern bis hin zu Riesenkakerlaken, fliegenden Monsterköpfen und sogar verzauberten Möbeln. Oder anders gesagt: Jede noch so widerliche Gestalt aus Mythen und Märchen hat in der Monestary ein Zuhause gefunden und Gestalten, die es noch nicht gab, wurden von den Charakterdesignern bei Sacnoth kurzerhand erfunden. Allerdings sind die meißten Gegner sind keine wirkliche Herausforderung! Sehr schnell stellt sich heraus, daß die Heerscharen der Hölle leider mehr durch Ihre seltene Vielfalt, denn durch Ihre Kampfkünste beeindrucken. Die sind über weiteste Strecken des Spiels nämlich extrem bescheiden und sehr schnell macht sich gepflegte Langeweile breit. Die Gegner sind fast nie eine ernsthafte Bedrohung, viel zu oft lassen sie sich sogar abräumen, ohne das die Party einen einzigen Treffer einstecken muß!
Deutlich tödlicher als die Mehrzahl der Gegner ist nach einiger Zeit immerhin der Ärger über das immer gleiche Musikstück während der rundenbasierten Kämpfe, das spätestens beim zwanzigsten Mal kaum mehr zu ertragen ist, auch wenn es von dem großen Soundtrack-Komponisten Hiroki Kikuta (Soukaigi, Secret of Mana) persönlich stammt. Außerhalb der Fights kommt Koudelka, von einigen Videos abgesehen, übrigens gänzlich ohne Musik aus. Hätte man auch während der Kämpfe auf Musik verzichtet, liefen diese vielleicht genauso flüssig ab wie der Rest des Spiels. Mit Musik werden die Kämpfe leider durch immer wiederkehrende nervige Ladepausen verlängert, die streng genommen anhand des dort Gebotenen absolut unerklärlich sind!
Wer die musikalische Untermalung der ladepausengeplagten Kämpfe überlebt findet die nächste Herausforderung in der Steuerung, die irgendwo zwischen lieblos und mißraten angesiedelt ist. Lieblos weil ausschließlich digital und damit völlig unzeitgemäß, mißraten weil hakelig und bisweilen unpräzise. Gegenstände einsammeln und durch Türen gehen wird zur Geduldsprobe. Allzeit präzises Steuern der Spielfigur wird durch die häufigen Perspektivwechsel und der damit immer wieder anderen Richtungsvergabe fast zur Kunst.
Zum Glück wird die Aufmerksamkeit während dieser "Adventure" Spielphasen kaum anderweitig abgelenkt. Die immer wieder auftretenden Rätsel sind Standardkost: eine Melodie nachspielen, in der richtigen Reihenfolge auf Bodenplatten treten und Schlüssel Items einsammeln. Ihr müßt Euch noch nicht mal Gedanken darüber machen, was man mit diesen Gegenständen anfangen könnte. An der richtigen Stelle werden sie automatisch benutzt. Damit ist Sacnoth das wohl zweifelhafte Kunststück gelungen, den auf sehr niedrigem Niveau angesiedeltem Kampfpart des Spiels, durch einen noch niveauloseren Rätselpart zu ergänzen!
Doch Koudelka hat auch Pfunde, mit denen es wuchern kann. In Grafik, Story und Sprachausgabe gibt sich das Spiel ohne zu übertreiben nahezu perfekt! Die vorgerenderten Kulissen sind fantastisch, die Atmosphäre des alten Gemäuers ist perfekt umgesetzt. Dazu kommen zahlreiche Cutscenes und vor allem die prachtvollen Rendersequenzen. Die spielen problemlos in der FMV-Oberklasse mit, man sieht die alte Squaresoft-Schule! Optisch läßt eigentlich nur der Polygoncount der einzelnen Charaktere und Gegner in Cutscenes und Kämpfen zu wünschen übrig, Sacnoth bleibt damit aber ebenfalls durchaus in der Squaresoft Tradition, siehe Parasite Eve 2.
Die Story ist spannend und bietet zahlreiche Überraschungen. Auch die eigenwillige Kombination von Hexe, Dieb und Priester ist nicht ohne Reiz und sorgt regelmäßig für deftige Meinungsverschiedenheiten und damit für kurzweilige Unterhaltung, entsprechende Englisch-Kenntnisse vorausgesetzt. Die Erwähnung haben die überdurchschnittlich engagierten Synchronsprecher aber auch verdient!
Trotzdem: Über den Verlust der Mitarbeiter, die sich jetzt hinter dem neuen Entwickler Sanoth verstecken, kann man bei Squaresoft wohl nur gnädig lächeln. Was die hier angerichtet haben ist tief entäuschend und bleibt meilenweit hinter den Gameplay-Standards ihres Ex-Arbeitgebers zurück!
Zugegeben: FMVs, Backgrounds, Story und englische Sprachausgabe sind wie gesagt sehr gut. Da kann man schon mal über die hakelige Digi-Steuerung, den zu mageren Polygon-Count der Figuren und die spartanischen Kampfarenen hinwegsehen.
Für das völlig daneben gegangene Gameplay gibt es jedoch keine Entschuldigung. Hierfür sollte man die Entwickler auf ewig in den Folterkellern der Nemeton Monestary verschwinden lassen! Horror? Fehlanzeige! Adventure? Nicht der Rede wert! Action? Null!
Bleibt also nur der hundsmiserable RPG-Part, der jeden wirklichen Rollenspielprofi zur schieren Verzweiflung treiben dürfte! Was ist das für ein RPG, in dem auf der gesamten ersten CD fast ausschließlich Gegner auftreten, die oft genug nicht mal einen einzigen Schlag oder Zauber gegen das Heldentrio richten können, bevor sie das Zeitliche segnen? Was ist das für ein RPG, in dem dieses Trauerspiel auf CD 2 nahtlos weitergeht, nur unterbrochen von einigen Bossen, die zwar auch nichts drauf haben, dafür aber über um so mehr HPs verfügen, an denen man sich mühsam abarbeiten darf?
Was soll man von einem RPG halten, in dem selbst ahnungsloseste RPGler noch nach Stunden unbesiegt durch die Gänge wandern können? Es bei einer Spieldauer von 15-20 Stunden satte 10 Stunden dauert, bis der erste Gegner (Apostle) auftaucht, der diese Bezeichnung auch wirklich verdient? Direkt darauf ein Gegner (Gargoyle) auftaucht, der die Party so schnell auslöscht, daß man plötzlich für die sonst lästigen Ladepausen während der Kämpfe dankbar ist, weil man so wenigstens einen Moment lang sehen kann, wer einen da gerade vernichtet?
Vielleicht hätten die Jungs von Sacnoth mit der Rohfassung von Koudelka doch lieber zu Squaresoft zurückkehren sollen, wo Ihnen z.B. die Front Mission 3 Crew hätte zeigen können, wie spannende, ausgewogene und herausfordernde Rundengefechte auszusehen haben!
Grafisch hui, spielerisch pfui! Gemessen an den Erwartungen ist Koudelka meine ganz persöhnliche Gameplay-Enttäuschung 2000! Und in dieser Disziplin kaum mehr zu toppen, denn alle Zutaten zum Spiele-Hit waren da und wurden leichtfertig vergeudet.
Grafikfetischisten kommen bei Koudelka unter Einschränkungen noch auf ihre Kosten, anspruchsvolle RPGler, Puristen ebenso wie die actionlastigere Fraktion, dürften Besseres mit Ihrer Zeit anzufangen wissen: Front Mission 3, Legend of Mana, Chrono Cross, Vagrant Story, Valkyrie Profile und last but not least: Final Fantasy IX! Wer braucht in derart üppigen Rollenspielzeiten Koudelka? (aw)