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Richard Burns Rally

geschrieben von Marcus Reichle

Hersteller: Ubi Soft
Genre: Rallye-Spiel
System: PlayStation2, PAL-Version
Besonderheiten: Kein Spiel für den Gelegenheitsspieler
USK (ESRB): -
Spieler: 1-2
Testmuster von: Ubi Soft

Schon wieder so ein Rallye-Spiel, welches Colin McRae nicht das Wasser reichen kann? Von wegen! Mit Richard Burns Rally geht das schwedische Entwicklerhaus Warthog neue Wege:

BW Cover

Wie der Produktionsleiter Dennis Gustafsson von RBR in einem Interview mit www.gamesradar.com äußerte, gab es schon zu Entwicklungsbeginn genügend Rallye Spiele mit einer großen Fangemeinde, so dass man sich etwas Neues einfallen lassen musste. Nach einem Besuch der WRC samt rasanter Rallye-Fahrt stand der Entschluss fest. Eine Rallye-Simulation musste es sein, da kein Spiel das erfahrene Fahrgefühl der 300PS starken Boliden auch nur annährend wiedergeben konnte, so Dennis Gustafsson. Doch nicht nur das Fahrgefühl, auch die Schwierigkeiten die eine Rallye beinhaltet, wollte man so realitätsnah wie möglich simulieren ? mal schauen, ob RBR seinen hochgesteckten Zielen auch gerecht wird!

Katastrophal! - der erste Eindruck

Ohne großes Vorwissen über die Hintergründe von RBR legte ich gleich los und startete sofort den üblichen Rallye Modus ? wollte den Fahrer-Kollegen gleich mal zeigen, dass hier ein Colin McRae-Schüler am Pad sitzt. Stattdessen erlebte ich mein Rallye-Waterloo. In guter Colin McRae Manier drückte ich den analogen Gas-Button bis zum Anschlag durch, um mit Vollgas auf die nächste Haarnadelkurve loszupreschen. Doch schon nach leichtem Kontakt mit dem Straßengraben schaukelte sich der Bock plötzlich dermaßen auf, dass ich im hohen Bogen von der Strecke flog. Mist ? dachte ich mir. Anschließend musste ich erst über die Start-Taste um Hilfe rufen, damit die Zuschauer den Wagen wieder auf die Piste schoben und es weitergehen konnte. ?Viel? weiter kam ich aber nicht. Schon bei der nächsten Haarnadelkurve, die ich wie gewohnt mit Vollgas durchschlittern wollte, machte ich den zweiten unsanften Abflug.
Was für ein Schrott-Spiel ? resümierte ich, doch da ahnte ich noch nicht?

Nach meinem ernüchternden ersten Eindruck lag es auf der Hand, dass das Spiel anders als die mir bisher bekannten Rallye-Spiele war. RBR verlangt einen sehr gefühlvollen Fahrstil, der sich aus der Strecke, der Fahrphysik und der Taktik einer Rallye ergibt.



Nicht zu viel Gas! - sonst geht?s links den Abhang runter


Die Fahrphysik und das Fahrgefühl

Das Wort Simulation wurde bei der gesamten Spiel-Entwicklung besonders GROß geschrieben und viel Wert auf kleine Details gelegt:
Es wird beispielsweise jedes Mal der Zylinderinnendruck im Motor berechnet, um auf eine korrekte Motoren-Drehzahl zu kommen.
Allein um auf eine reale Farbdarstellung der meist glühenden Bremsscheiben zu kommen, wurde ein physikalisches Simulationsmodell der Bremsscheiben-Oberfläche entwickelt. Die beiden Beispiele lassen erahnen wie ehrgeizig die Entwickler waren, jedes Detail genaustes abzubilden.
Beim Fahren fallen solche Details jedoch erst auf den zweiten Blick ins Auge, wenn überhaupt. Schon deutlich sichtbarer ist das Schadensmodell, dass beispielsweise eine lose Tür, physikalisch korrekt, je nach Fliehkraft hin und herklappen und bei einem Überschlag gar abreißen lässt. Bei heftigen Crashs verformt sich jede Wagenpartie ob Stoßstange oder Seitenschweller und die Scheiben bersten! Genauso ergeht es der nicht sichtbaren Aufhängung, Kühler, Getriebe, Kupplung und Lenkung die bei einem Unfall in Mitleidenschaft gezogen werden können und einen schnell ganz schön alt aussehen lassen. Zum Glück kann man vor einer Rallye-Saison das Schadenssystem in drei Stufen regulieren, so dass der erste Crash nicht zwangsläufig zum Totalschaden führt.
Zu bemängeln ist an den insgesamt acht lizenzierten und präzise simulierten Original-Fahrzeugen nur eine missglückte Oberflächenspiegelung. Diese lässt den Lack bzw. Wagenoberflächen unnatürlich milchig aussehen.

Wichtiger als solche Äußerlichkeiten ist für einen Stuben-Rallye-Piloten die eigentliche Fahrphysik und das Fahrgefühl. Beide setzen in RBR neue Maßstäbe. Noch nie wurde das Fahrverhalten eines Rallye-Boliden so überzeugend umgesetzt. Dachte ich vor RBR, dass Colin McRae das Maas aller Dinge sei, lehrte mich RBR eines besseren. Das reale Fahrgefühl ist das Resultat vieler perfekt aufeinander abgestimmter Faktoren: Eine sehr präzise Lenkung, realistische Simulation der Fliehkräfte, Gasannahme, eine diffizile Bremswirkung, Untergrundbeschaffenheit, Umwelteinflüsse und Wagenverschleiß, die sich alle dazu noch wechselseitig beeinflussen. Hört sich komplex an - ist es auch! Erst eine konsequent durchgehaltene Detailverliebtheit der Warthog-Programmierer macht dieses reale Fahrverhalten erst möglich. Das man es mit der Realitätssimulation sehr genau nahm, wird einem spätestens bei den Wagen-Einstellmöglichkeiten bewusst. Eine Feder einzustellen wird hier schon zur Wissenschaft. Leider gibt?s dazu keinerlei brauchbare Hinweise, die einem die Modifikationsmöglichkeiten erläutern ? eine wirkliche Schwachstelle von RBR. Als Alternative zur Selbstjustierung gibt?s ein automatisch eingestelltes Standart-Wagensetup, das manchmal aber an seine Grenzen kommt.

Vorsicht Schlagloch! - das Streckendesign

Wer schon einmal die WRC-Piloten im Fernsehen gesehen hat, wird bestätigen können, dass es eine wahre Meisterleistung ist, auf schmalen Landstraßen mit einem Affenzahn durch die Landschaft zu brettern. Formel-Eins-Rennstrecken haben weite Auslaufzonen; sind sehr überschaubar, da es keine, die Sicht einschränkende Vegetation gibt und vor allen Dingen sind die Straßen äußerst breit.
Rallye-Straßen sind dagegen oft stinknormale öffentliche Straßen, äußerst schmal, sehr bewachsen und uneinsichtig, haben fiese Schlaglöcher und gefährliche Straßengräben. Eine Unachtsamkeit bedeutet für einen Rallye-Fahrer meist das schnelle Aus.
All die aufgezählten Erschwernisse einer Rallye-Strecke wurden auch in RBR umgesetzt. So sind viele der Straßen unglaublich schmal und uneinsichtig, was die Sache nicht gerade einfacher macht. Überall lauert die Gefahr eines Abfluges, wenn man die Kontrolle aufgrund eines Straßengrabens oder einfach nur wegen einer zu hohen Geschwindigkeit verliert.


Ganz so scharf sind die Texturen auf der PS2 aber leider nicht!


Junge, fahr anständig!

Zugegeben - anfangs war das alles sehr frustrierend, da ich erst umlernen musste. Wie im realen Leben ist ein kontrolliertes Gasgeben und Bremsen (der Wagen bricht sonst aus!) die Grundvorrausetzung für eine unfallfreie Fahrt. In der implementierten Rallye-Schule lernt man schnell das richtige Anbremsen an eine Kurve und verschiedene Techniken der Kurvendurchfahrt. Erst wenn man ein Gefühl für den Wagen und die Strecke entwickelt hat (so ca. nach 1-2 Tagen), wird man RBR auch zu schätzen wissen und nicht mehr verfluchen. Es macht nämlich einen Heidenspaß an die eigene Grenze der Fahrzeugbeherrschung zu gehen, ständig in der Gefahr die Kontrolle zu verlieren. Die schmale Streckenführung und eine flüssige Bildwiederholungsrate führen außerdem zu einer als sehr hoch empfundenen Spielgeschwindigkeit. Legt man nach RGB den Konkurrenten Colin McRae ein, könnte man meinen es handelt sich bei dem Schotten um einen Arcade-Racer ? unglaublich, aber wahr.



Nur für echte Könner! die Inboard-Ansicht


Wild auf der Fahrbahn

Auf verschiedenen Kontinenten wird in sechs offiziell lizenzierten Rallyes gefahren. Die Gesamtlänge aller 36 Wertungsprüfungen beträgt 270 km und eine durchschnittliche Streckenlänge beträgt 7.5 km. Hört sich nicht viel an, jedoch kommen einem manche Rallye-Strecken unglaublich lang vor, was jedoch mehr an der benötigten hohen Konzentration liegt als an der eigentlichen Streckenlänge. Da die Rallyes in unterschiedlichen Ländern ausgetragen werden, kommt nie Langeweile auf. Es ändert sich nicht nur Flora und Fauna, sondern auch der ganze Strecken-Charakter: Die japanische Hokkaido Rallye ist geprägt durch schmale, flache Strecken und grobkörnigen grauen Schotter im ständigen Grün. Dagegen gibt es in Nevada, USA sehr feinen, braunen Kies, die Straßen sind ausladend und plan mit unterschiedlichem Straßengefälle. Haushohe Nadelbäume am Streckenrand zeugen von einer unberührten Gebirgslandschaft. Sämtliche Umgebungs-Texturen wirken dabei sehr natürlich. Zwei Entwickler flogen dafür extra zu den einzelnen Rallyes und machten Aufnahmen für die verwendeten Umgebungstexturen. Auch eine dynamische Wettersimulation darf natürlich nicht fehlen, die immer für unvorhersehbare Wetterbedingungen sorgt.
Leider erreichte man die technische Leistungsgrenze der PS2 und musste optische Abstriche machen. Ein Großteil der Zuschauer, wie auch die Baumreihen und Sträucher sind weiterhin nur aus platten Texturen gestrickt und haben eine niedrige Auflösung. Kleine Überraschungen gibt?s trotzdem wie z.B. durch den Motorenlärm aufgeschreckte Vögel oder die Straße überquerendes Wild. In dem leider sehr spartanisch ausgestatten Replay-Modus könnt Ihr Euren Höllenritt nochmals bestaunen und noch viele weitere Wagen- und Umgebungsdetails entdecken.

Ein Rallye Auto macht Krach

Aus drei verschiedenen Kameraperspektiven (Stoßstangenkamera, Innenkamera und der klassischen Verfolgerperspektive) kann man den Wagen nicht nur steuern, je nach Kameraposition gibt?s dazu den passenden Sound. Im Innenraum hört man, Z.B. wie Kiesel an den Radkasten schlägt und ein dumpfes Motorenbrüllen. Aus der Verfolgerperspektive dominiert dagegen besonders das Röhren des Auspuffs. Besonders laut wird es, wenn sich der Endtopf selbständig macht und vom Wagen dank einer Bodenwelle verabschiedet. Auf Euren Copiloten könnt Ihr Euch stets verlassen. Er kündigt die Strecken-Verläufe (auf deutsch) frühzeitig und deutlich an. Zusätzlich ist es möglich den Ankündigungszeitpunkt individuell einzustellen und sich zusätzlich die Entfernung zur nächsten Kurve anzeigen zulassen.


Man achte auf den Schattenwurf der Tannen

Karge Menükarte

Der Menübildschirm bleibt bei RBR sehr übersichtlich. Das Spiel bietet neben der erwähnten "Rallye-Schule" die Möglichkeit zur "Schnelle Rallye" und einer kompletten "Rallye-Saison". Außerdem gibt es noch einen "Richard Burns Zweikampf-Modus", bei dem man wie in der "Schnellen Rallye" gegen ein transparentes blaues Geisterauto fährt. Fährt man in der "Schnellen Rallye" noch gegen seine eigene Bestzeit, so ist es im gleichnamigen Modus des Namenpatron "Richard Burns" persönlich, den es einzuholen gilt - eine Lebensaufgabe.
Denn der Rallyeweltmeister von 2001 ist diese Zeiten tatsächlich 1:1 mit einem Lenkrad gefahren - was wohl der letzte Beweis für eine realistische Rallye-Simulation ist.
Apropos Lenkrad, zwar lässt dich RBR sehr präzise mit den Standartpad lenken, wirkliche Bestzeiten sind jedoch erst mit einem Lenkrad möglich. Das Programm unterstützt alle gängigen Playstation 2 Lenkräder.

fazit

Simulations-Maniacs!
Ein mutiger Schritt vom Softwarestudio Warthog eine echte Rallye-Simulation auf einer Konsole umzusetzen, die von Anfang an nicht nur eine möglichst breite Käuferschicht ansprechen möchte.
RBR bietet nämlich tatsächlich einen ungeahnten Realismus, sowohl in der Fahrphysik als auch im Streckendesign. Jedes Rennen muss mit äußerster Konzentration und Geschick gefahren werden, was dem Fahrer wirkliche Anstrengung abverlangt und einer realen Rallyefahrt wohl sehr nahe kommt.
Simulationsanhänger bekommen dabei den puren Adrenalin-Kick, Arcadejügner dagegen nichts - außer vielleicht graue Haare.
Allein die unzähligen und undurchsichtigen Wageneinstellmöglichkeiten sind zwar gut gemeint, scheitern aber an zwei Punkten. Zum einen fehlt ein dickes Handbuch oder zumindest eine InGame-Erläuterung der unzähligen Einstellmöglichkeiten. Zum anderen machen lange Ladezeiten der PS2 das Ausprobieren der zig Modifikationen geradezu unmöglich. Ohne optimale Wageneinstellung ist es aber fast aussichtslos (ab mittlerem Schwierigkeitsgrad) aufs Treppchen zu kommen - und wer fährt schone gerne ständig hinterher? Dieses, von den Entwicklern nicht beachtet Technik-Manko der PS2-Version, kostet das Spiel dann auch die Spitzen-Test-Platzierung.
Wer Spaß an einem wirklich realistischen Rallyespiel hat und bereit ist seine Zeit zu investieren, wird aber sein RBR-Exemplar nicht mehr missen wollen.


positiv:

  • äußerst realistisches Fahrgefühl
  • präzise Steuerung
  • fordernde Strecken
  • fotorealistische Optik
negativ:
  • Ladepausen
  • fehlende Informationen zu Wageneinstellmöglichkeit


grafik: 8.5 | sound: 9.0 | gameplay: 10.0 | gesamt: 8.5
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