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geschrieben von Sascha Gläsel
Hersteller: Game Arts / Ubi Soft
Genre: Rollenspiel
System: Dreamcast, PAL-Version
Besonderheiten: benötigt Memory Card (min. 9 Blöcke); VGA kompatibel; englische Texte
USK (ESRB): ab 6 Jahren
Spieler: 1
Testmuster von: eigene Anschaffung
Für Rollenspielfans kommt endlich die Erlösung. Gleich drei potentielle Highlights könnten das Genre auf dem Dreamcast aus dem Dornröschenschlaf wecken. Während "Phantasy Star Online" und "Skies of Arcadia" in Good ol' Germany noch etwas auf sich warten lassen, ist mit "Grandia 2" das erste der drei Hoffnungsträger endlich offiziell in Deutschland zu haben.
Ryudo und sein gefiederter Freund, der sprechende Falke Skye, verdingen sich als Geohunter, einer Art Leibwächter/Kopfgeldjäger/Indiana Jones Verschnitt. Sein neuester Job: Die "Songstress", die Vorsängerin der Kirche des Granas, Schwester Elena, sicher zu einem Turm geleiten, in dem eine religiöse Zeremonie abgehalten werden soll. Zwar gelingt ihm das ohne Probleme, doch bei dem Ritual läuft etwas gehörig schief. Fast alle Teilnehmer (Ryudo mußte draußen bleiben) finden den Tod. Nur Elena kann unser junger Held retten. Doch irgend etwas ist mit Elena geschehen, als Ryudo sie im Turm von schwarzen Flügeln umgeben in der Luft schwebend vorfand.
Gut gegen Böse
Wie sich herausstellt, sollte durch die Zeremonie die Flügel des Valmar, des Herrn der Finsternis, versiegelt werden um Unheil für die Menschen abzuwenden. Einst hatte der gute Gott Granas in einem heftigen Kampf mit seinem Schwert Valmar erschlagen und die Teile des bösen Gottes verstreut über die Welt in Altären versiegelt. Doch in letzter Zeit sind die Mächte des Bösen immer mächtiger geworden. Steht die Auferstehung des Valmar vielleicht unmittelbar bevor? Und was hat der düstere Mond mit all den Ereignissen zu tun? Vom Oberhaupt der Kirche des Granas, seiner Heiligkeit Zera Innocentius, erhofft sich der Priester vor Ort Aufklärung über Elenas Zustand und das Geschehene. Ob Ryudo vielleicht gegen ein fürstliches Entgelt für Elenas Sicherheit auf dem weiten Weg zu Zera sorgen würde? Und ob er will.
Kenner des Vorgängers werden sich sofort heimisch fühlen, auch wenn der zweite Teil inhaltlich nichts mit "Grandia" mehr gemein hat. Ihr führt eine bis zu vier Personen starke Party durch in Echtzeit berechnete 3D Welten. Der Spielverlauf ist größtenteils linear gestrickt. Erst mit allen möglichen Bewohner eines Dorfes/Stadt/Behausung sprechen, dadurch einem dunklen Geheimnis auf die Spur kommen und dieses anschließend beim Durchstreifen der vielen Dungeons durch Besiegen eines Bossgegners aus der Welt schaffen. Erst im weiteren Spielverlauf werden die Dungeons komplexer, so dass ihr vielleicht den ein oder andern Seitenarm übersehen werdet. Schaut euch trotzdem gewissenhaft um. Ihr werdet mit netten Extras oder Gold belohnt.
Dem Zufall keine Chance
Das Kampfsystem, neben einer ausgefeilten Story und einem ordentlichen Charakterdesign der Schlüssel für ein gelungenes Rollenspiel, kann sich sehen lassen. "Grandia 2" hebt sich wohltuend von anderen klassischen Japano-Rollenspielen, wie die "Final Fantasy" Serie, ab. Wie im Vorgänger gibt es auch im zweiten Teil keine Zufallskämpfe. Ihr seht schon von weitem, wer sich euch da in den Weg stellt. Außerdem ist es mit den starren "auf der einen Seite Freund auf der anderen Feind" Zeiten vorbei. Nehmen die Kämpfer zu Beginn meist noch gegenüber Aufstellung verschwimmt die Kampflinie nach kurzer Zeit, da sich die Akteure frei im Kampfareal bewegen. Für den Beginn einer Schlacht ist es wichtig, wie ihr auf euren Gegner trefft. Bekommt ihr ihn von hinten zu greifen, dürft ihr als erstes angreifen bevor die Monstergruppe reagieren kann. Vorsicht ist geboten, wenn die Monster rot anlaufen. Trefft ihr jetzt mit ihnen zusammen ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ihr in einen Hinterhalt geratet. Dumm, denn die Gegner hauen bereits auf euch ein bevor ihr selbst einmal reagieren dürft.
Die wichtigste Rolle spielt ein Zeitbalken am unteren rechten Bildschirmrand. Er zeigt an, wann welcher eurer Recken und eure Gegner ihren nächsten Angriff fahren. Dabei ist darauf zu achten, dass zwischen Initiieren eines Angriffes und der Ausführung immer eine kleine Pause liegt. Daher ist überlegtes Timing überaus wichtig. Haut ihr zum Beispiel gerade dann auf einen Unhold ein, kurz bevor dieser euch eine Abreibung verpassen will, richtet ihr mehr Schaden als normal an ("Counter") oder unterbindet mit der richtigen Attacke sogar komplett den gegnerischen Streich. Ihr schlagt dem Monstern ein Schnippchen, indem ihr einem Angriffen behende ausweicht oder ihnen die Schlagkraft nimmt, in dem ihr selbst eine Verteidigungsstellung einnehmt.
Bewegliche Kampfführung
Neben der Art des Angriffes ist aber auch der Standort eures Recken von entscheidender Bedeutung. Ist das Monsterchen weit weg, dauert es halt etwas, bis euer Kämpe, die Beine in die Hand nehmend, bis zu seinem Opfer vorgedrungen ist. Im ungünstigsten Fall nimmt dieses gerade selbst einen Stellungswechsel vor, so dass euer Schwertstreich ins Leere geht. Neben diversen machtvollen Nahkampfattacken will auch Magie sinnvoll eingesetzt werden. Ein Mana Egg vorausgesetzt (erhaltet ihr nach dem Sieg über einen Endgegner), steht euch die ganze Palette rollenspieltypischer Zaubersprüche zur Verfügung. Dabei solltet ihr natürlich auch immer im Auge haben, welche der bösen Kreaturen gegen welche Art von Zaubern besonders anfällig ist. Monstern, die zum Bleistift die Kälte lieben, rückt ihr mit Feuer zu Leibe, Feuermonstern mit Eissprüchen. Habt ihr die Gegner einmal besiegt, sackt ihr neben Gold, nützlichen Items und den obligatorischen Erfahrungspunkten auch Special und Magic Coins ein. Diese spielen die Schlüsselrolle bei der Weiterentwicklung eurer Zauberfähigkeiten und Spezialattacken.
Bei der Entwicklung eurer Charaktere bietet euch "Grandia 2" dabei sehr viel Freiheit. Welche Zaubersprüche eines Mana Eggs (jedes verfügt über eine individuelle Zusammenstellung von Sprüchen) ihr forciert liegt ganz in eurer Hand. Da jede Weiterentwicklung Magic Coins kostet, von denen es naturgemäß immer viel zu wenig gibt, will es gut überlegt sein, welche ihr pusht und welche nicht. Special Coins benötigt ihr für neue oder das Aufmotzen bereits erlernter Spezialattacken. Jeder eurer Helden hat ein paar ungemein mächtige Spezialitäten auf Lager, die sich im Kampf schnell bewähren. Damit ihr die Monsterschar aber nicht einfach so mit Spezialattacken ohne Ende ganz leicht fertig macht, kosten sie Spezialpunkte, von denen jeder Charakter nur eine bestimmt Anzahl zur Verfügung hat (ähnlich wie Zaubersprüche Manapunkte verschlingen). Einmal verbraucht stockt ihr sie nach einem kleinen Nickerchen wieder voll auf oder in kleineren Schritten, in dem ihr zum Beispiel euch öfter mal defensiv in einem Gefecht verhaltet oder ein bestimmtes Item verschnabuliert.
Vielfältige Entwicklungsmöglichkeiten
Auch die Skills spielen in den Kämpfen eine nicht zu unterschätzende Rolle. Bei einigen Oberbossen greift ihr nach deren Niederlage Zauberbücher ab, die euch einige nützliche Fähigkeiten einbringen. Gesteigerte Eigenschaftswerte (z.B. Erhöhung der Hitpoints, größerer Stärke, mehr Manapunkte, gesteigerte Intelligenz, schnellerer Beine) oder verbesserte Zaubersprüche sind unter anderem die Folge. Wer die Skills weiter verbessern möchte benötigt wiederum Magic oder Special Coins. Also müßt ihr euch auch hier wieder genau überlegen in welche Richtung ihr euren Charakter weiter entwickelt.
In den Geschäften, die ihr in fast jedem Dorf findet, werdet ihr die in den Kämpfen gesammelten Goldstücke wieder los. Neben diversen nützlichen Heiltränken und Kräutern erwerbt ihr Waffen und Ausrüstung aller Art. Jeder eurer Helden ist auf eine bestimmte Waffenart festgelegt. So rückt Schwester Elena zum Beispiel den fiesen Schergen mit allerlei Kampfstäben auf die Pelle, während ihr düsteres Alter Ego Millenia mit diversen Bögen um sich schießt. Obwohl die Hintergrundgeschichte (das übliche Gut gegen Böse) nicht gerade sonderlich originell ist, vermag sie doch zu fesseln. Dies liegt nicht zuletzt auch an den interessanten Charakteren, die auf den ersten Blick alle recht eindimensional erscheinen, doch im Laufe des Spieles immer vielschichtigere Einblicke in ihr Innerstes gewähren. Vor allem bei den Mahlzeiten lockern sich die Zungen der Protagonisten und ihr erfahrt mehr über sie.
Grafik zum genießen
Der größte Trumpf von "Grandia 2" ist aber wohl die grandiose Grafik. Kein anderes Rollenspiel bietet zur Zeit derart detaillierte in Echtzeit berechnete Locations, wie "Grandia 2". Jede Ortschaft folgt einem anderen grafischen Grundmotiv, was Eintönigkeit gar nicht erst aufkommen läßt. Ein netter Gag wird euch geboten, wenn ihr zum ersten Mal in eine Stadt einzieht: In einem Rundflug bekommt ihr einen ersten Eindruck von dem Ort, den ihr gerade besuchen wollt. Die Animationen der Charaktere steht dem in nichts nach. Einziger Wermutstropfen ist der nur aus einem kleine Oval bestehende Schatten. In den Kämpfen geht es optisch ebenfalls hoch her. Vor allem die Effekte bei den diversen Zaubersprüchen sind eine Augenweide. Bei einigen gibt es sogar kurze FMV Schnipsel zu sehen. Keine Angst, minutenlange nicht verkürzbare Animationen, mit denen zum Beispiel "Final Fantasy 8" RPG Fans nervte, gibt es in "Grandia 2" nicht. Einen dicken Klops müssen deutsche Käufer aber dann doch noch schlucken: Es gibt keinen 60 Hz Modus. Wer also auf dicke PAL Balken keinen Bock hat, sollte sich einen VGA Adapter kaufen um "Grandia 2" am PC Monitor in voller Pracht zu genießen.
An der Musikuntermalung gibt es kaum etwas zu mäkeln, zumal es für verschiedene Situationen fast immer die passende Musik gibt. Spannungsgeladenen poppige Rhythmen, wenn es in Dungeons rund geht oder auch mal langsamer Streichereinsatz bei einem zutiefst traurigen Anlass. Im Gegensatz zu vielen anderen Rollenspielen bekommt ihr in "Grandia 2" auch Sprachausgabe geboten. Allerdings nur in einigen Schlüsselszenen. Während sowie am Ende von Kämpfen kommt euren Helden zusätzlich der ein oder andere lockere Spruch von den Lippen. Ein Lob an die Castingabteilung. Die Sprecher passen fast alle wie eine Faust aufs Auge und geben sich hörbar Mühe, den jeweiligen Gemütszustand einer Person adäquat wieder zu geben. Ansonsten gibt es die obligatorischen Texteinblendungen. Wie schon bei Segas "Shenmue" müssen auch deutsche PAL Käufer von "Grandia 2" ohne eine eingedeutschte Version auskommen. Die englischen Texte sind etwas anspruchsvoller als zum Beispiel in "Shenmue", so dass fortgeschrittenere Sprachkenntnisse vonnöten sind um alles restlos zu verstehen. Abgespeichert wird an bestimmten Speicherpunkten. Mit neun Blöcke pro Spielstand hält sich der VMU Hunger des Rollenspieles in erträglichem Rahmen.
Endlich hat das Darben für Rollenspielfans ein Ende. Interessante Charaktere, eine nicht sehr innovative aber doch fesselnde Geschichte und die spannenden Kämpfe mit ihren vielfältigen taktischen Möglichkeiten sorgen dafür, dass ihr das Joypad so schnell nicht wieder beiseite legen werdet. Hinzu kommt eine edle Optik, wie es sie in kaum einem anderen Rollenspiel in dieser Form schon einmal gegeben hat. Da bleibt mir nur eins zu sagen: Kaufen, spielen, staunen (sag).